Record weeks Chile | 2013

Werner Luidolt 2013 on tour mit Tom Weissenberger bei seinen Hängegleiter-Weltrekordflügen zwischen Pazifik und Atacamawüste. 

Santiago Airport Zollkontrolle: »What’s that?« – »6 Gopros in a yellowbox« – »mhhh and this black thing here?« – »… that’s a carbonspeedbar for a hangglider« – »nice :-) – welcome to Chile!«. 

Mit Verspätung, reichlich Übergepäck und Utensilien die hier niemand kennt, standen wir da und wurden sehr unkompliziert empfangen. Tom war 2012 schon hier und für mich war es die erste Reise nach Südamerika – unsere »record weeks chile« haben nach 4 Jahren Planung von Tom also wirklich mit mir gestartet.

 

Symphonie der Wüste

Chile ist ein außergewöhnliches Land – zwar nur 440km breit, dafür aber 4.300km in der Länge,  mit 3 Klimazonen und Landschaftsformationen, die von sehr alpinem Charakter im Süden bis hin zur extrem trockenen Wüste im Norden alles abdeckt. Unser Ziel war der in der Gleitschirmszene bekannte Ort Iquique, das bedeutete weitere 2 Stunden von der Hauptstadt Santiago entlang der Küste nach Norden zu fliegen. Dieser Abschnitt ist genial – eigentlich kann man das ganze Land in seiner Breite vom Jet aus 10.000m Höhe überblicken: Linkerhand der Pazifik, die Küstenstraße mit der mehr als 500km langen Ridge und gleichzeitig Ort unserer Rekordversuche. Direkt anschließend die Atacamawüste und am Horizont die Anden mit dem Aconcagua als höchsten Berg Südamerikas der bis auf 6.962m aufragt. Viele Berge haben hier die Form von erloschenen Vulkanen, man fühlt sich wie auf einer Zeitreise durch die Erdgeschichte.

 

Mad Max trifft den Wüstenplaneten

Iquique Airport präsentiert sich 8/8 bewölkt – eine eigenartige Stimmung hier. Ich dachte mir: »Wie soll ich 5 Wochen hier an diesen unwirklichen Ort bewältigen?« Der Wind bläst mir Sand ins Gesicht, meine Zähne knirschen, der erste Eindruck ist ernüchternd, die Begegnung war mehr dramatisch als freudig, aber ich versuchte mir vor Tom nichts anmerken zu lassen. Wir checken in Philipp’s Flightpark ein und erwachen am nächsten Tag bei strahlend blauem Himmel. Die Welt ist wieder in Ordnung, die Seele – von der langen Reise – etwas verzögert auch angekommen und so starten wir in das Unternehmen Zielrückkehr-Weltrekorde im Rahmen unserer »wings on tour« Kooperation.

 

Livestyle Südamerika

Tomy – ein Amerikaner der immer wieder monatelang seine Zeit hier verbringt  – meinte »Wir nehmen den 4er, dann umsteigen und rauf auf Alto Hospicio.« Busfahren in Chile heißt: Bushaltestellen sind in Wirklichkeit nicht notwendig da man den Busfahrer mit Handzeichen symbolisiert »Ich will mit« und sofort hält er mitten auf der Straße, um jeden einsteigen zu lassen. Dann zahlt man 400,– Pesos (€ 0,6) für eine Fahrt in eine Richtung. Taxisharing von bis zu 4 Personen mit unterschiedlichsten Zielen ist hier ebenso durchaus üblich – ein großartiges und sympathisches System. 

 

Wir kriechen den Berg auf rund 500m Seehöhe hinauf und vor uns offenbart sich ein weitläufiger Startplatz mit einer steifen Brise. Der Ausblick ist faszinierend – zuerst die riesige Sanddüne – dahinter die Stadt mit ihren Hochhäusern, dann die Weite des Pazifiks und auf der anderen Seite der Ridge die autonome Stadt Alto Hospicio, direkt angrenzend an die Atacamawüste. Die ganze Hangkante trägt im Wind oder thermisch, nur wo Aufwinde auslösen ist mir nicht ganz klar. Aber egal, es geht immer irgendwo rauf bzw. werden die Bärte von Vögeln markiert. Tom und ich hatten verabredet das wir nachmittags den Drachen zusammenbauen – ich lernte wie man einen Hängegleiter am Autodach montiert und der Zusammenbau inkl. Innenleben der »roten Moyes Rennmaschine« funktioniert. Die ersten Übungsstunden als Supporter sind erledigt – die Stimmung ist perfekt.

 

Wüstenadventure à la Dakar-Rallye 

Der Wechsel von der Küste in die Wüste ist spannend und intensiv: Dust Devils so weit das Auge reicht, Relikte und Kultstätten der früher beheimateten indigenen Stämme, unendlich lange glühende Asphaltgeraden die im Flimmern am Horizont verschwinden, großartige Landstriche die sich heiß in unsere Gehirnwindungen brennen. 

  

Außergewöhnliche Rekordflüge erfordern spezielle Startplätze und diese erkunden wir die ersten Tage mittels Allradjeep auf folgende Weise: Tom hat die Zufahrt mit Google Earth ausfindig gemacht – schön und gut – nur heißt das zum Beispiel von der asphaltierten und gesicherten Straße an der Stromleitung in die Wüste abzubiegen und nach 7 Stützen wiederum links weiterzufahren. Folgen Sie den nicht vorhandenen Weg mittels Allrad ganz ungezwungen – dann bitte über den Grat rauf zum Startplatz an der Ridge. Ich, vollkommen ungeübt im Geländefahren, fand das ganze sehr lässig – noch spannender war jedoch die Rückfahrt, da Tom ja fliegend unterwegs ist und ich den Grat zur sicheren Rückfahrt nicht mehr hochkomme – der Sand war zu tief. Mit Toms Unterstützung aus der Luft finden wir einen neuen Weg und ich halte inne, um diese unglaubliche Weite wirken zu lassen. Diese Wüstenlandschaft ist unglaublich schön und hart zugleich. Jetzt verstehe ich Menschen, die gezielt in Wüstengebiete reisen – ich finde immer mehr gefallen daran … Nach weiteren Suchaktionen finden wir zwar den perfekten Startplatz, nur werden wir von den »Mineros« mit einer Drohung im gebrochenen Englisch gebeten das Gelände zu verlassen: »Dangerous – Dynamite – Explosions – go away« machte uns die Ausfahrt aus der Mine einfach – wir lenkten ein, man muss ja nicht gleich die volle Dosis Adventure in allen Varianten erleben ...

 

Neue Ziel-Rückkehr Weltrekorde fallen im 3-Tagestakt 

Tom fliegt 3 Weltrekorde innerhalb von 10 Tagen: 347km, 352km, 365km. Ich habe dabei als Supporter ständigen Sichtkontakt zu Tom, da die Straße mehr oder weniger direkt an der Ridge entlang läuft. Tom ist kaum höher als 1.100m über Grund und kommt schon mal runter auf 300m. Hier ist eine Mischung aus Taktik, Geländekenntnis, Hangflug und Thermik – immer in wirklichen Low save Modus – es erfordert einen kompletten Piloten der alle diese Register virtuos bedienen kann und Tom macht das sehr gut. Wir funken, besprechen und rechnen am Ende die möglichen Umkehrzeiten inkl. erforderlicher Schnitte aus. Dazwischen gibt es Kleinigkeiten wie: Zollkontrolle (Das gibts hier auch innerhalb des Landes), tanken, Sonnencreme, Landschaften inhalieren, essen, trinken, Oudie 3 programmieren und fotografieren, motivieren, sensibilisieren, u.v.m.. So vergeht der Tag, so als ob man eigentlich selber fliegen würde und man ist am Ende müde, aber total überwältigt was man so erlebt hat. 

 

Die Erkenntnis: Einfach hier her zu kommen und Rekorde zu fliegen ist nicht ... Das Wetter gestaltet sich unberechenbar, das Windsystem dreht in der Regel im Tagesverlauf von Südwest auf Süd d.h. der erste Schenkel in Richtung Süden ist von einer mehr oder weniger starken Gegenwindkomponente geprägt, die den Schnitt stark herabsetzt und den Wendepunkt spät umrunden lässt. Genau diese Wetterlage macht es für Gleitschirmpiloten recht einfach one way in Süd-Nordrichtung zu fliegen, für unsere Rekorde mussten wir aber gegen den Wind anfliegen, dieser Umstand setzt Grenzen in der maximal möglichen Kilometerausbeute. Je nach Bewölkungsgrad kann die Thermik in der besten Zeit sehr sehr aggressiv sein, das macht die Mischung aus Leesituationen und starken Aufwinden anstrengend und kräfteraubend – mental muss man sowieso on top sein, um die ständige Aussenlandesituation richtig zu verarbeiten. 

 

Der Rückflug gestaltete sich immer sehr kompliziert, da die letzen 30-40 Kilometer meist 8/8 abgeschattet waren, das Gelände teilweise auf nur 400m NN abfällt – die Problematik eines militärischen Übungsgebietes genau in dieser Zone – noch dazu mit unserem Auto normalerweise nicht befahrbar da ein Sperrgebiet – machte mir mehr als einmal Kopfzerbrechen. Wir konnten in diesen 5 Wochen gerade 10 Tage einer guten Phase nutzen um erfolgreich zu sein, vorher oder nachher wäre es nicht möglich gewesen einen Weltrekord zu fliegen! 

 


Das Feuer der chilenischen Drachenflieger brennt hell 

Tom war 2012 hier, um das Gelände kennenzulernen – seine damaligen Flüge haben in Chile für Furore gesorgt und da die chilenischen Piloten wussten, dass wir 2013 wieder anreisen, wurde umgehend ein FlyInn organisiert: 27(!) chilenische Drachenfliegerpiloten kamen für eine Woche nach Iquique, um gemeinsam mit uns zu fliegen. Diese Präsenz an »Deltaplano’s« war vollkommen neu hier – der Bürgermeister von Iquique war derart begeistert, das er einen Reisebus inkl. Fahrer für diese Woche kostenlos zu Verfügung stellt – man stelle sich das in Europa vor! Es wurden Interviews mit der lokalen Presse am Startplatz gemacht, Zeitungsberichte erschienen in der Stadt – Drachenflieger als Stars – das ist eine wirklich gute Sache für den Hängegleitersport. Für uns war es ein Traum – wir lernten sehr viele neue Freunde kennen: Ein Winemaker, der in New York eine Company vertritt, der russische Fernfahrer, Drachen und Gleitschirmreparateure, eine ausgewanderte deutsche Pilotin, junge Freaks die alles fliegen usw. 

 

Das Beste an der Geschichte – Rekorde zu fliegen ist normalerweise eine einsame Angelegenheit: Man startet in der Früh – fliegt 9 bis 10 Stunden und landet am späten Abend meist alleine irgendwo im Gelände – nur diesmal war es anders. Nach einen Rekordflug werden wir von den flugverrückten Piloten am Strand empfangen! Sie bringen Freude und Leidenschaft am Flugsport vermischt mit südamerikanischen Feuer mit und wir können unser Erlebnis, den großen Erfolg mit allen teilen. Wir fallen uns in die Arme, Gruppenfotos, Fotos mit Kindern und lokalen Fans, einfach gemeinsam feiern und am Abend den Erfolg bei den weltgrößten Steaks am Grill im Flightpark zelebrieren. Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft dieser Piloten und genießen die Zeit zusammen in vollen Zügen. 

 

Der Kreis schließt sich

Unsere neuen Freunde besuchen wir nach unseren erfolgreichen 5 Wochen kurzerhand bei einem Stopover in Santiago am lokalen Segelflugplatz, der auch schon Austragungsort eines Segelflug Grand Prix war. Wir chartern eine Cessna C 172 und fliegen mit dem Hängegleiterpiloten José, der gerade an seiner Berufspilotenlaufbahn arbeitet, in die Anden: »Hey Tom, let’s circle here – we need some lift for the higher mountains!« Jose packt den »Drachenflieger in sich« und kurbelt bald mit Motorunterstützung 10m/sec. mit der Cessna in der kräftigen Andenthermik auf, um hoch genug in die farbenprächtigen Berge zu kommen. Tom packt den »Segelflieger in sich« aus und fliegt den Flieger zurück. 

 

Hier schließt sich der Kreis: Wir haben Rekorde geflogen, aber was noch wichtiger ist – wir haben Freunde gewonnen – Flieger, die am anderen Ende der Welt genau so verrückt sind, wie wir und unsere Leidenschaft teilen. Tom hat sich mit seiner außergewöhnlichen Idee auf die Reise gemacht, zuerst Friedl und jetzt ich begleiteten ihn auf seinen Weg zu diesen großen Flügen. Es ist diese Ausdauer und der Glaube an eine Idee, die manche Piloten auszeichnet und das Gesamtpaket aus Rekordflügen, Rückschlägen, Neuversuchen, Landschaftserlebnis, neuen Freundschaften usw. machen dieses Projekt so außergewöhnlich. 

 

Text: Werner Luidolt

Bilder: Werner Luidolt / Tom Weissenberger